Eingeschränkt empfehlenswert: Estelle Vereeck, Orthodontie - Halte au massacre
BUCHBESPRECHUNG:
die Barbarei des Zähneziehens bei einer 12-Jährigen und die Unwissenheit der Eltern werden gleich zu Anfang plastisch dargestellt. Und dass man besser nicht bis 12 Jahre warten lässt, wenn sich die Zähne vor Enge verkeilen.
Werden Eltern mit der Begründung abgespeist, die Größe des Kiefers sei genetisch festgelegt, so sind darin 2 wichtige Wörtchen weggelassen, nämlich „maximal erreichbare“.
Die kindlichen Kiefer müssen sich durch Wachstumsreize entfalten, die durch Nahrung, Weichgewebe / Haltung und Atmung kommen.
Babys kommen mit Unterkiefer-Rücklage zur Welt, und die heutige weiche Nahrung, angefangen beim Fläschchen, das sich leichter trinkt als an der Mutterbrust, trainiert die Kiefer nicht genug.
Die Umstellung vom infantilen Schucken des zahnlosen Säuglings auf das adulte Schlucken, bei dem die Zunge nirgends gegen sie Zähne drückt, vollzieht sich nicht immer. Und eine chronisch verstopfte Nase führt zu habitueller Mundatmung, die die Gebissentwicklung entgleisen lässt.
Aus allem resultieren enge Kiefer, bei denen die Zunge entweder zwischen den Zähnen oder zurückgezogen liegt. Letzteres fördert Schnarchen, das in seiner extremen Form mit Atem-Aussetzern (Schlaf-Apnoe) den Allgemeinzustand verschlechtert oder gar Herzinfarkt, Schlaganfall oder Unfalltod verursachen kann.
Zusätzlich zu unterentwickelten Nasen-Atemwegen, die ja das Obergeschoss des Oberkiefers sind, und deren Decke gar einen Kühlkörper für das Gehirn bildet, wäre die Atmung dann doppelt eingeengt.
Da gesundheitsorientierte Kieferorthopädie in Frankreich noch seltener geworden ist als bei uns (Sachzwänge...) und ihr Auffinden dort zusätzlich erschwert ist, wird dieser ungesunde Zustand dort oft für den Rest des Lebens festgelegt, indem die mangels Wachstumsreizen unterentwickelten Kiefer durch Zähneziehen-und-feste-Spange vollends degeneriert werden.
Das dort gängige Entfernen der 4er UND der 8er entspricht Entfernen eines Viertels (!) der Bezahnung. Was bleibt, ist ein Kindergebiss im erwachsenen Gesicht. Und wenn später weitere Zähne verlorengehen, wird dieses Rest-Zahnkapital ganz schnell knapp.
Bei Medikamenten müssen alle Nebenwirkungen angegeben werden, auch die seltensten. Bei festen Spangen geschieht das fast nie, bzw. auf Nachfragen werden sie heruntergespielt. In diesem Buch werden sie detailliert dargestellt:
Schäden am Zahnschmelz, am Zahnfleisch (bis hin zur Lockerung), Wurzelverkürzung, Absterben und Dunkelwerden von Zähnen, Einengung der Kiefergelenke, der Nasen-Atemwege und Ohrtrompeten, gestörtes Zusammenpassen der Kiefer, verschlechtertes Gesichtsprofil und psychische Schäden, v.a. in der Umbruchphase der Pubertät.
Diese Schlecht-Kieferorthopädie bzw. -Orthodontie nährt sich von der Passivität der Eltern und Patienten. Die Konsumentenmacht könnte auch hier genutzt werden ... aber das macht ja Arbeit.
Immerhin ziehen kieferorthopädisch tätige Allgemeinzahnärzte weniger gesunde Zähne als ihre Fachkollegen (die sie nicht selber ziehen, sondern ziehen lassen).
Nur Frühbehandlung löst die Gebissentwicklungs-Probleme ursächlich und stabil, aber wird dort leider noch schlechter bezahlt als bei uns.
Nichtapparative Frühbehandlung soll o.g. natürliche Faktoren der Kieferentwicklung sicherstellen. Reicht sie nicht (mehr), so werden unter Apparative Frühbehandlung leider
Außenspangen ganz unkritisch mit gelobt. Sie werden im Französischen euphemistisch als „orthopädische Geräte“ bezeichnet, während alle Bisskorrektur mit intraoralen Herausnehmbaren dort „fonctionnel“ heißt und als alternativ gilt. Außenspangen werden z.B. auf S. 110 bei 9-Jährigen gegen Progenie empfohlen (die im ganzen Buch stringent als Prognathie bezeichnet wird), während sie für Jugendliche und Erwachsene als gefährliche Folterinstrumente bezeichnet werden, die enorme Gegenkräfte auf Schädel, Nacken und Kiefergelenke ausüben und durch weniger gewaltsame Mittel zu ersetzen seien?
Aber Kindern kann man diesen Schrott antun, weil kindliches Gewebe regenerationsfähiger ist? In Anbetracht von Alternativen wirken die Tipps, wie man dem Kind seine Außenspange schmackhaft machen soll, EINFACH NUR HÄSSLICH !
Schlimmer noch, wird auch die Gaumennahtsprengung (GNE) an mehreren Stellen und Literaturquellen unkritisch erwähnt. Dabei gibt es laut Prof. Tränkmann KEINE Indikation zur GNE im Milchgebiss und in frühen Wechselgebiss!
Dass Außenspangen, Gaumennahtsprengung und Quadhelix zum Rattenschwanz der Multibracket-Technologie gehören, wird nicht erkannt.
Und auch wenn die körperlichen Schäden davon bei Kindern geringer sein mögen, so ist die Gefahr von psychischen Schäden,die an anderen Stellen des Buches minutiös beschworen werden, um so größer. Siehe Opfer-Berichte im Alternativen-Kapitel meiner Seite:
http://www.sanfte-zahnklammern.de/alterna/alterna.html
Schließlich noch 2 Beispiele für das Gedankengut, aufgrund dessen dieses Buch in Esoterik-Buchhandlungen gelistet ist:
- Schief angelegte Zähne kämen von pubertären und anderen psychischen Problemen (S. 70, wird näher aufgeschlüsselt und ist wohl der Inhalt eines anderen Buches der Autorin).
- Menschen, denen Platz für die Weisheitszähne fehlt (also die meisten), würden nie unabhängig (S. 62).
FAZIT: trotz der Haare in der Suppe endlich ein Buch, das den Feste-Spangen-Kommerz kritisch auseinander nimmt, mitsamt des Zähnezieh-Wahnsinns und den Lügen, mit denen er befördert wird.
Mehr Info:
http://www.editionsluigicastelli.com/ed ... vre_id=463
Hordeotech