Liebe Leser,
was mir so alles für lau ins Haus fliegt:
Im Leidartikel eines Fachblattes wieder einmal die Feststellung, dass Patienten künftig noch mehr selber zahlen müssten. Das würde ich nicht an schwarz-gelb festmachen, sondern eher die Bekenntnis zu mehr Wettbewerb im Gesundheits(un)wesen. Also auch mehr Werbung, auch für Modisches statt für wirklich Gesundes, und weitere Wege, vollere Wartezimmer, aber auch schwerere Bedingungen für jene erfahrenen Ärzte, die mit wenig Werbung und wenig Kosten gute Arbeit leisten.
Im selben Blatt dann eine Werbung für schickste Diagnostik für fiese gebissverstümmelnde Zähnezieh-KFO, und diese nicht nur in Spätfällen! Wie eingeengt muss sich danach die Zunge fühlen, und das lebenslänglich !? Oder soll man die dann kürzer schneiden? Das war in meiner Kindheit eine verbreitete Unsitte. Neulich hatte ich 2 Ratsuchende, deren Zungen sich nach moderner Kieferorthopädie (1x Multibracket, 1x Invisalign) auch ohne Zähneziehen schon eingeengt fühlten. Dagegen hätte man mit Platten oder Crozat einfach reagieren können, wenn dieses schwer vorhersehbare Problem auftritt, und mit klassischer Funktionskieferorthopädie sollte es sowieso kaum auftreten.
Und dann ein Artikel über eine nützliche Spangen-Variante, die es in meiner Kindheit noch nicht gab. Nur heißt es da jetzt, „qualitätsorientierte Kieferorthopädie“ (ich kanns bald nicht mehr hören!) bräuchte nach der Bissregulierung und Einreihung der Zähne überwiegend noch eine Feineinstellung mit festen Spangen. Vor 15 Jahren schrieb derselbe Autor noch lapidar, die Behandlungen wurden teils herausnehmbar, teils fest zuende geführt.
Aber nun setzen sie sich innerhalb der 3 Jahre, die es für unverlängerte Kassen-KFO gibt, mit ihrer obligaten festen-Spange-für-danach selbst unter Zeitdruck. Dabei kam man früher mit der bewährten Platten- und Funktions-Kieferorthopädie in der Regel auch mit 3 Jahren hin, und hat dabei gesunde Gebisse geschaffen. Aber diese wirtschaftliche, schadensarme Versorgung gibt heute kaum noch einer her! Schon die dafür nötige Detailkenntnis geht verloren. Z.B., wann aktive Platten soliden Halt brauchen.
Eine wirtschaftliche Regelung wäre doch, wenn die Kassen Kieferorthopädie bis zum gesunden, ordentlichen Gebiss zahlen würden. Wer darüber hinaus dann die technisch mögliche Perfektion will, sollte die Mehrkosten selber tragen. Schönheitsoperationen zahlen die Kassen zu Recht doch auch nicht. Aber vernünftigen Regelungen steht allzu oft ein Lobbyfilz-Dickicht im Wege.
Ob da die recht aktuelle DIMDI-Studie (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information) was bewirken mag? In ihr werden für einen Langfristnutzen des routinemäßigen Feste-Spangen-Einsatzes nämlich Belege vermisst:
Mundgesundheit nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaten Volltext 64 Seiten unter:
http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_beric ... cht_de.pdf
(HTA „Health Technology Assessment“, „zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit“)
Kurzinfo darüber: www.dimdi.de/static/de/hta/aktuelles/ne ... 59483.html
Aber vielen Vermarktern ist belegbarer Langfristnutzen egal, wenn man auch an kurzfristiger Effekthascherei verdienen kann. Wieder habe ich mich über den Kursprospekt eines Herstellers von schickem und teils behandlungsmaximierendem Zubehör geärgert:
jetzt propagieren sie dort feste Spangen ab dem frühen Wechselgebiss oder gar dem Milchgebiss.
Das überflüssige Knochenpiercing filzen sie in immer mehr Kurse hinein, und einen Gaumennahtsprengungs- und Delairemasken-Kurs offerieren sie neu, in einem gepflegten Ambiente für diese mittelalterlichen Methoden, mit Möglichkeit von Edelballermann-Action-Exkursionen.
Dabei hatten bis vor wenigen Jahren Funktionskieferorthopädie und Platten unter diesen Kursen noch ihren Platz. Stattdessen lesen sich ihre aktuellen Frühbehandlungs-Kurse zwischen den Zeilen nun so, als ob sie auch die mundraumverstümmelnde gesteuerte Extraktion wieder aus der Gruft holen wollen – nämlich für jene real existierenden Kinder, deren Haushalte sich die kostentreibenden Produkte und Leistungen nicht leisten können.
Was nun tun? Um für eine ungewisse Zukunft zumindest das Zahnkapital gut anzulegen, sehe ich den richtigen Weg darin, ursächliche Frühbehandlungen dieser Zivilisationskrankheit um Selberzahler-Angebote in 3-stelliger Preislage zu erweitern, ob als Einzelpraxis oder im Verbund.
Das käme oft billiger als die Zuzahlungen, die zu GKV-gezahlten KFO-Behandlungen heute schon üblich sind, und wäre mit Sicherheit gesünder!
Soweit für diesmal,
hordeotech