#1von ruebezahl » 22. Okt 2008 13:18
Liebe Leser,
der Begriff Torque, torquen, torquieren für einen Zahnkorrektur-Schritt, dem z.B. Deckbiss-Patienten unterzogen werden, reichert immer wieder zeitgenössische Behandlungspläne an – die sich manchmal eh lesen, als wären sie auf wenigen Eingaben basiert von Computern aufgebläht und ausgespuckt worden.
Denn in heimischen KFO-Lehrbüchern war dieser Begriff bis in die 80er Jahre noch nicht gebräuchlich! Da wurde stattdessen betont, es sei wichtig, die Kongruenz des oberen und unteren Zahnbogens herzustellen (egal ob die Übersetzung davon ins Amerikanische holprig ausfällt). Also individuelle Arbeit am Patienten, und dessen Zungenlage und -funktion nicht zu vergessen.
Könnte es also sein, dass Torquieren nur zum In-Durchschnittsform-Zwingen der Zahnbögen gebraucht wird, was früher bei uns ja auch nicht üblich war? Um Abweichungen von irgendwelchen Norm- bzw. Durchschnittswerten platt zu machen?
Anschließend werden Kleberetainer immer üblicher, auch schon für 13-Jährige, um die den Mundraumfunktionen nicht unbedingt entsprechende Kunstform zu konservieren.
Z.B. folgende, nicht extreme Behandlungspläne (gekürzt):
1)
Befund: feste Zahnspange für 13-Jährige mit bleibendem Gebiss. Eingeengte Eckzähne, Dreh- und Engstände, Deckbiss, ausgeprägte Speekurve
Plan: Protrusion und Torquen und Intrusion der Front ... Ausformen des Zahnbogens. Nivellierung der Speekurve und Bisshebung, Herstellen einer funktionalen Okklusion. Verwend. Geräte: OK-/UK-Multiband, IGZ (= Gummis spannen), OK-/UK-3-3-Retainer, Retentionsgeräte.
Kommentar: Kleberetainer und weitere, wie Hosenträger UND Gürtel?
2)
„Mein 13-jähriger Sohn benötigt eine feste Zahnspange“, als Satz ohne zu denken, außer ans Geld: rund 4.900 Euro sind da zu unterbieten (und am selben Ort wären für die Behandlung eines Erwachsenen mit sehr schiefen Zähnen, Plan inklusive Knochenpiercing, gar 7200 Euro zu unterbieten!):
Befund: auf 3 Seiten aufgewanderten Seitenzahnreihen, oben vorstehende Spitzfront, unten retrudierte, engstehende Front. Ausgeprägte Spee'sche Kurve, Verzahnung neutral.
Plan (+Kommentar): die Kieferform immerhin mit aktiven Platten bearbeiten, dann eine Multibracket-Spange mit Palatinalbogen (TPA) und Lip-Bumper ergänzen (zum Halten der Molaren), und schon wieder: Nivellieren der Spee'schen Kurve (also habe ich dieses Thema von März in diesem Forum wieder hochgewühlt) und natürlich geklebte Retainer danach. Als die aufkamen, waren sie zuerst auf Erwachsenenbehandlung von Engständen beschränkt...
Hier zwar kein Torquen, aber das findet sich so häufig, dass es mir im Gedächtnis klebt.
3)
Neulich hatte ich wieder eine Mutter beraten, bei deren Sohn ein Kieferorthopäde die Behandlung von 8 bis 13 Jahre verschleppt hatte. 5 Jahre wertvolle Zeit verloren, in der Korrekturen kostengünstiger und sanfter möglich gewesen wären! Und mit 13 macht diese Sorte dann routinemäßig Multibracket und Kleberetainer.
+++
Zum Andere-Wege-Beschreiten möchte ich auf den in diesem Forum angekündigten Lehrgang (Dez. 2008) „Kieferorthopädie in Zeiten wirtschaftlicher Widrigkeit“ von Dr. A. B. Bimler hinweisen.
MfG, hordeotech